Wie geht Deutschland den Weg in die neue Zeit? Wird der Umbruch in Europa „gut ausgehen“? So sieht es der Kanzler. Oder muss die Bundesregierung doch schneller, entschlossener und geschlossener handeln als sie es tut? So fordert es die Union mit Friedrich Merz. „Zuversicht kann man nicht verordnen“, hat dazu der Kanzler gesagt. „Anspruch und Wirklichkeit der Bundesregierung liegen auseinander“, nennt es der CDU-Chef. In der Aussprache zur Regierungserklärung legt Merz die Versäumnisse der Scholz-Regierung offen. Gleichzeitig macht er die Positionen der Union deutlich.

Fehlende Vermittlung von Zuversicht

„Zuversicht kann man nicht verordnen. Zuversicht kann man auch nicht künstlich herbeireden“, bekräftigt Merz. „Zuversicht entsteht dann, wenn die Menschen Vertrauen in ihre Regierung haben.“ Er fordert die Scholz-Regierung auf, sie muss dazu einen Plan haben, einen Kompass. Denn eine Regierung „gibt durch Taten Anlass zur Zuversicht, nicht durch Worte allein“. Selten fallen „Worte und Taten so sehr auseinander“, wie bei dieser Regierungserklärung, wirft Merz dem Kanzler vor.

„Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass Sie ausgerechnet den britischen Historiker Timothy Garton-Ash zitieren“, sagt Merz in Richtung Bundeskanzler. „Garton-Ash hatte seinem englischen Publikum vor einiger Zeit das Wort ‚scholzen‘ ins Englische übersetzt – mit ‚scholzing‘. Und scholzing hat er so interpretiert: gute Absichten kommunizieren, nur, um dann jeden erdenkbaren Grund zu erfinden, um diese hinauszuzögern und zu verhindern.“

Zögerlicheit bei Europa und NATO

Merz stellt aber auch einen Erfolg fest: „Europa und die NATO sind zusammengeblieben. Das war keineswegs selbstverständlich. Das ist ein Verdienst aller EU-Staaten und der NATO.“ Beide haben der Ukraine sehr geholfen: „humanitär, materiell, finanziell – und richtiger Weise auch militärisch.“

Merz kritisiert aber, dass der Bundeskanzler die Hilfen unmittelbar hinter denen der USA einordnet. Gemessen an der Wirtschaftskraft „haben eine ganze Reihe von Ländern – auch und gerade in Europa – deutlich mehr geleistet als wir.“ Insbesondere Osteuropa und das Baltikum sind dabei zu nennen, so Merz. Diese Länder haben große Sorge vor einer Ausweitung des Angriffs auf ihre Territorien. „Diese Länder haben Sie mit keinem einzigen Wort erwähnt.“

Zeitverzug bei der Bundeswehr

„Sie lassen auch den Bericht der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestags unerwähnt“, wirft Merz dem Kanzler vor. Diese hatte in dieser Woche den aktuellen Wehrbericht vorgelegt – den Zustandsbericht und die Bedarfsliste der Bundeswehr. Titel dieses Berichtes ist: „Der Bundeswehr fehlt es an allem.“

Fakt ist: Aus dem Sondervermögen wurde noch nichts für die Bundeswehr ausgegeben. Dabei hatte der Bundestag gemeinsam 100 Milliarden Euro Sondervermögen beschlossen. Merz: „Wenn fast ein Jahr danach noch kein Euro und kein Cent bei der Bundeswehr angekommen sind, dann ist das ein Skandal, Herr Bundeskanzler, den Sie zu verantworten haben.“

Mit dem neuen Verteidigungsminister verbinden sich zurecht Hoffnungen und Erwartungen, sagt Merz. Er ergänzt: Es muss aber mehr neu kommen als nur Personal im Ministerium. „Sie müssen jetzt das Beschaffungswesen grundlegend ändern, damit am Zustand der Bundeswehr wirklich etwas verändert wird.“

Streit in der Koalition

Der Bundeskanzler hatte 2022 eine neue Nationale Sicherheitsstrategie angekündigt, „erst zum Herbst, dann zum Frühjahr, dann zur Münchener Sicherheitskonferenz“. Jetzt soll das Vorhaben seitens der Bundesregierung nicht weiter verfolgt werden. Offensichtlich, „weil der Kompetenzstreit zwischen Kanzleramt und Außenministerium nicht mehr aufgelöst werden kann“, so Merz. Andere Staaten nehmen die Herausforderung an und richten sich strategisch neu aus. „Die deutsche Bundesregierung streitet über Zuständigkeiten.“

„30 Vorhaben der Koalition liegen auf Eis, weil sie keine Einigung erzielen“, zählt Merz auf. Innerhalb der Bundesregierung gibt es zusätzliche Ausgabenwünsche von 70 Milliarden Euro. Die Abstimmung zum Etat ist geplatzt. Beim – „sogenannten“ – Bildungsgipfel waren nur drei Kultusminister anwesend. Die anderen blieben zu Hause, „weil sie es als sinnlos empfunden haben, zu einer solchen Veranstaltung nach Berlin zu kommen“.

Versagen in der EU-Führungsrolle

Deutschland nimmt seine führende Rolle in der EU nicht wahr, wirft Merz der Regierung vor. „In Brüssel spricht man vom ‚German vote‘“, sagt Merz. Gemeint ist: Enthaltung bei den meisten Abstimmungen. Die Ursache: Die Bundesregierung ist sich uneins, wie sie abstimmen soll. Als Beispiel nennt er die Debatte um E-Fuels: 2022 schien die Entscheidung gefallen, 2023 ist alles offen. „Was macht diese Bundesregierung eigentlich in Brüssel?“ In der Sache habe Herr Wissing Recht, so Merz. Das hat die Union auch immer so gesagt. Die Scholz-Regierung wäre gut beraten, „eben nicht auf den Verbrenner zu verzichten, sondern technologieoffen in die Mobilität der Zukunft zu gehen“.

So würde es auch von Dritten vertreten. Julian Nida-Rümelin und Ernst-Ulrich von Weizsäcker hätten geschrieben: „Wir müssen von Deutschland aus Technologien vertreten, die auch in den weniger gut entwickelten Ländern dieser Welt angewendet werden können.“ Sie nennen die E-Fuels „eine moralische Pflicht“ Deutschlands gegenüber diesen Ländern. Man dürfe nicht immer nur auf das eigene Land schauen.

Konzeptlos bei Asyl und Einwanderung

Zur Einwanderung weist Merz auf einen jetzt doch noch geplanten Gipfel am 10. Mai im Kanzleramt hin. Lange hatte die Union darauf gedrängt. Der Termin ist viel zu spät, so Merz. Schon lange sagen die Vertreter aus Ländern und Kommunen dem Bundeskanzler, dass die Aufnahmemöglichkeiten erschöpft sind. „Und sie bekommen aus dem Kanzleramt auf ihre Briefe noch nicht einmal eine Antwort.“ Dieser Umgang ist unangemessen, so Merz.

Der Dank an die Kommunen nützt nichts, so Merz, „wenn Sie nicht die nötigen Entscheidungen treffen, die dafür sorgen, dass der Zuzug an illegaler Migration nach Deutschland gestoppt wird – jedenfalls deutlicher begrenzt wird, als dies gegenwärtig der Fall ist“. Dafür braucht es Entscheidungen statt endloser Debatten. Merz verweist auf den Bundestagsbeschluss zu den sicheren Herkunftsländern, dessen Umsetzung bis heute an den Grünen scheitert. „Dann wäre ein großer Teil des Problems aus diesen Regionen gelöst.“

„Sie vermengen Einwanderung und Asylverfahren“, wirft Merz der Scholz-Regierung vor. „Wir machen Ihnen einen sehr konkreten Vorschlag, wie man das lösen kann: Wir wollen Asylverfahren und Einwanderungsverfahren strikt trennen.“ Verfahren zur Einwanderung in den Arbeitsmarkt müssen vom ersten Tag an vollständig digitalisiert stattfinden. Ausländer- und Asylbehörden müssen von diesem Verfahren entlastet werden. Die Auslandsvertretungen haben zurzeit 40 000 Anträge anhängig und sind völlig überastet. Merz: „Das Problem liegt bei Ihnen und Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, und nicht bei denen, die in Deutschland Arbeitsplätze brauchen.“

Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Der CDU-Vorsitzende stellt fest: „Nicht nur Anspruch und Wirklichkeit der Bundesregierung liegen auseinander. Bei Ihnen fallen mittlerweile Selbstwahrnehmung und die tatsächliche Lage im Land in fast schon besorgniserregender Weise auseinander.“ Die Scholz-Regierung verliert den Bezug zur Realität in Deutschland, so Merz.

Die Rede des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden hören Sie hier.