Deutschland steht vor großen Aufgaben. Die Bundesregierung müsste zügig und entschlossen handeln – stattdessen erweist sie sich zunehmend als handlungsunfähig. Auf jede Vereinbarung folgt neuer Streit. Jede Lösung hat die Halbwertzeit einer Pressekonferenz. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz gibt einen Ausblick auf das Jahr 2024 und fordert einen klaren Kurs für unser Land.

Der Jahreswechsel ist eine gute Gelegenheit zum Blick zurück auf das vergangene Jahr und zum Blick nach vorn in das neue Jahr. Das Jahr 2023 geht zu Ende mit der traurigen Nachricht, dass Wolfgang Schäuble am Abend des zweiten Weihnachtstages verstorben ist. Wir trauern um ihn, und wir werden ihn in Zukunft oft vermissen. Niemand in der CDU konnte auf einen breiteren politischen und persönlichen Erfahrungsschatz zurückgreifen als Wolfgang Schäuble. Welche Wertschätzung Wolfgang Schäuble in Deutschland, aber auch im europäischen Ausland genoss, das wird uns vielleicht erst so richtig bewusst, wenn wir die zahlreichen Nachrufe und die Worte des Mitgefühls und der Anteilnahme lesen, die in diesen Tagen veröffentlicht werden. Er hat uns in der CDU ein Vermächtnis hinterlassen, und dies lässt sich vielleicht in einem Satz zusammenfassen: Deutschland muss stark sein, damit auch Europa stark sein kann.

Aber Deutschland wird seit zwei Jahren unter Wert regiert. Deutschland ist zu schwach, um in Europa eine Führungsverantwortung wahrnehmen zu können. Wenn die Bundesregierung zwischen Mitte November und Mitte Dezember nach eigenem Bekunden 200 Stunden braucht, um über die Konsequenzen aus dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts zu beraten, dann stehen dem Bundeskanzler allein in diesen vier Wochen 200 Stunden nicht zur Verfügung, um sich um die wichtigen Dinge im Land und vor allem in Europa zu kümmern. Wolfgang Schäuble hätte es in einer unionsgeführten Bundesregierung niemals akzeptiert, dass die Regierung des größten Mitgliedslandes der Europäischen Union vor wichtigsten Weichenstellungen für die Zukunft unseres ganzen Kontinents so sehr mit sich selbst beschäftigt ist, ja geradezu in eine lähmende Agonie verfällt.

Gerade in so herausfordernden Zeiten wie um den Jahreswechsel 2023/2024 bräuchte unser Land eine kraftvolle politische Führung, die die Probleme anpackt und die wieder zum Motor europäischer Einigungen wird.

Die Bundesregierung schafft es dagegen noch nicht einmal, wenigstens den vorhandenen Wohlstand unseres Landes zu erhalten. Sie gefährdet im Gegenteil mit ihrer Politik die Zukunft unseres Landes, vor allem die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder. Statt tatkräftig daran zu arbeiten, dass die Lage besser wird, einigt sie sich nach wochenlangen, zähen Verhandlungen auf Formelkompromisse, die schon in den darauffolgenden Tagen von den eigenen Regierungsmitgliedern wieder in Frage gestellt werden. Die Folge ist eine Politikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger, wie wir sie noch nie erlebt haben. Die Sorgen um die Zukunft in den Familien und in den Unternehmen gehen über eine tiefe Verunsicherung mittlerweile weit hinaus, sie gehen über in eine tiefe Frustration und Kritik an der politisch-parlamentarischen Ordnung unseres Landes.

Die Lage unseres Landes ist zu ernst, als dass wir als Opposition daran Freude haben könnten. Die Politik der Bundesregierung darf im neuen Jahr nicht genauso chaotisch und orientierungslos weiter verlaufen wie im Jahr 2023. Das kann sich die Bundesrepublik, das können sich die Menschen, das können sich auch die Unternehmen in Deutschland nicht mehr leisten. Unser Land ist nicht nur physisch und materiell, unser Land ist auch emotional an der Belastungsgrenze angekommen. Wir brauchen im kommenden Jahr eine Bundesregierung, die ihre Politik an den Interessen unseres Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger ausrichtet, die endlich aufhört zu streiten, die Entscheidungen trifft und die sich nicht weiter im Gestrüpp ihres offensichtlich grundlegend unterschiedlichen Staatsverständnisses verheddert.

Denn die bittere Wahrheit ist: Deutschland erlebt derzeit einen Wirtschaftsabschwung. Unser Wohlstand schrumpft. Deutschland wird im internationalen Vergleich abgehängt. Wir sind mit Platz 26 von 27 Mitgliedstaaten Vorletzter in der EU beim Wachstum. Die deutsche Regierung ist zum Risiko für den Wirtschaftsstandort geworden. Das bescheinigen ihr mittlerweile nationale und internationale Wirtschaftsforschungsinstitute. So kann und darf es nicht weitergehen!

Wie würden wir heute regieren?

Aber Kritik allein bringt uns nicht weiter. Die Bevölkerung fragt zu Recht: Was würde denn eine unionsgeführte Bundesregierung in dieser Lage anders machen?

Wir würden zunächst einmal die Prioritäten der politisch notwendigen Entscheidungen neu ordnen, um nicht zu sagen: überhaupt erst einmal ordnen. Was also ist wirklich wichtig in dieser Lage?

Die wichtigste Priorität angesichts des Krieges in der Ukraine und des Terrors muss sein, die Freiheit und den Frieden nach innen und nach außen zu wahren. Dafür müssen wir mehr tun als bisher, auch für die Bundeswehr, für die Polizei, für Krisen- und Gewaltprävention. Unser Rechtsstaat muss sich durchsetzen, auch und gerade gegen diejenigen, die nicht gewillt sind, sich in Deutschland an die Regeln zu halten.

Die zweite Priorität muss auf die Bewahrung unseres Wohlstandes ausgerichtet sein. Nicht in erster Linie, um noch mehr konsumieren zu können; Konsum gibt es genug im Land. Wichtig ist, dass wir ein wettbewerbsfähiger Industriestandort bleiben. Diese Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes ist so gefährdet wie lange nicht, vielleicht sogar wie nie zuvor nach dem zweiten Weltkrieg. Nur wenn wir eine breit aufgestellte, wettbewerbsfähige Wirtschaft behalten, vom Mittelstand bis hin zur Großindustrie, nur dann können weiter gute Löhne gezahlt werden, der Staatsapparat erhalten und die sozialen Sicherungssysteme zahlungsfähig bleiben. Diesem Ziel muss sich in der Wirtschafts- und Finanzpolitik alles unterordnen, auch die Klimapolitik, die bei sinkendem Wohlstand und Gefährdung der Sozialsysteme ansonsten weiter ihre Legitimation in der Bevölkerung verliert.

Die notwendige Transformation unserer Volkswirtschaft hin zur Klimaneutralität lässt sich nicht schaffen mit einer zunehmend staatsautoritär auftretenden Wirtschaftspolitik, die mit der einen Hand Steuern und Abgaben in nie da gewesene Höhe abverlangt und mit der anderen Hand nach großen Verlusten durch eine immer größer werdende Staatsverwaltung gönnerhaft Teile davon nach politisch motivierten Rangfolgen an die Unternehmen in Form von Subventionen wieder zurückgibt. In dieser Art der Staatswirtschaft kommt ein abgrundtiefes Misstrauen der politischen Parteien von SPD und Grünen gegen die Menschen, gegen die Unternehmen und letztendlich gegen die marktwirtschaftliche Ordnung zum Ausdruck, der eben ein grundlegendes anderes Staatsverständnis zugrunde liegt, als wir es in uns tragen. Traurig festzustellen, dass ausgerechnet die FDP seit nunmehr zwei Jahren zu genau dieser Politik ihre Hand reicht und Mehrheiten in diese Richtung im Deutschen Bundestag erst möglich macht.

Wir werden im neuen Jahr jedenfalls an unserem Kurs festhalten und ganz konsequent unsere Vorschläge in der Öffentlichkeit und vor allem im Deutschen Bundestag zur Diskussion stellen. Deutschland braucht einen neuen Aufschwung. Mit weniger Abgaben, weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung, mit sicherer und günstigerer Energie. Mit Verlässlichkeit und Freiräumen. Mit einer Politik, die Ideen und Innovationen befördert, statt immer neue Bürokratie zu schaffen. Mit weniger staatlicher Regulierung, damit unsere Unternehmen ihrer eigentlichen Geschäftstätigkeit erfolgreich nachgehen können.

Gleichzeitig müssen wir die Staatsfinanzen stabil halten. Denn: Eine falsche Ausgabenplanung und Wünsch-Dir-Was-Politik begründen keine staatliche Notlage, die die Voraussetzung dafür wäre, die Schuldenbremse ein weiteres Jahr auszusetzen. Eine solide Haushaltspolitik ist aber auch in Zeiten wie diesen keine Hexerei – die Bundesregierung müsste nur die Prioritäten richtig setzen.

Europa bietet eine sichere Zukunft in einer starken Gemeinschaft

Und damit müsste Deutschland in Europa wieder zum Schrittmacher werden, nicht zum Lehrmeister und nicht zum Besserwisser, sondern zum Vorbild und zum Mutmacher. Die Europäische Union ist und bleibt ein Friedens- und Freiheitsprojekt, das durch den Vormarsch demokratiefeindlicher autoritärer Regime und Diktaturen massiv herausgefordert wird. Sie versuchen, immer mehr Einfluss zu gewinnen. Mit militärischer Drohung und mit Waffengewalt.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine führt uns diese neue Realität täglich drastisch vor Augen. Der barbarische Krieg ist auch ein Angriff auf unsere Freiheit, unsere Sicherheit, unseren Wohlstand in Europa und in Deutschland. Deshalb sagen wir: Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Deshalb unterstützen wir die Ukraine!

Doch unser freiheitlich-demokratisches Europa wird nicht nur von außen angegriffen, sondern auch von innen. Rechtspopulisten feiern Wahlerfolge. Sie bieten zwar keine Lösungen an. Aber sie sind gegen alles, was uns Wohlstand ermöglicht und Freiheit sichert: Sie sind gegen ein gutes Miteinander, sie verhöhnen unsere Werte, sie wollen raus aus der NATO. Und sie hetzen gegen das politische Projekt Europa.

Europa zu globaler Handlungsfähigkeit führen

Europa muss in diesen Zeiten krisen- und zukunftsfest werden. Denn Europa bietet uns das beste Fundament, um die Herausforderungen der Gegenwart zu bewältigen. Das beginnt bei gemeinsamen Handelsabkommen und der Bekämpfung des Klimawandels. Das umfasst eine gemeinsame Sicherheitsstrategie und ein gemeinsames Handeln zur Verteidigung. Europa muss stark und verteidigungsbereit sein.

Um weiter global erfolgreich zu sein, müssen wir das Zukunftspotential der EU nutzen: Die vielleicht größte Stärke ist unser gemeinsamer Wirtschaftsraum – und damit das Versprechen auf Wohlstand für rund 450 Millionen Menschen. Auch darum geht es bei der Europawahl am 9. Juni.

Wir können froh sein, dass Ursula von der Leyen Kommissionspräsidentin ist. Sie ist führungsstark. Sie hat einen klaren Kurs. Ihr Wort hat in der Welt Gewicht. Sie bekennt sich zu unseren Werten. Sie hält die Europäische Union zusammen, wo andere sie spalten wollen. Sie hat Europa zusammengeführt, wenn es bis heute darum geht, die Ukraine zu unterstützen.

Herausforderungen gemeinsam meistern

Unser Land steht auch 2024 vor großen Aufgaben. Wir werden diese Herausforderungen nur gemeinsam meistern. Mit Tatkraft, Mut und Zuversicht! Dafür haben wir trotz der gegenwärtigen Bundesregierung immer noch manchen Grund: Denn wir sind immer noch ein starkes Land. Ein schönes Land. Ein Land mit Menschen, die fleißig sind, die anpacken, die kreativ, innovativ und solidarisch sein wollen. Ein Land, das doch so viel mehr kann. Und daraus können wir die Kraft und die Hoffnung schöpfen für das neue Jahr 2024.

  • Ihr Friedrich Merz
  • Vorsitzender der CDU Deutschlands

Merz-Linnemann-Stumpp Friedrich Merz, Carsten Linnemann und Christina Stumpp stehen für den Kurs der CDU. Foto: CDU/ Tobias Koch/ Michael Breyer