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Die NATO schafft Frieden – und Freiraum
Gastbeitrag von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in der Financial Times
Das Geheimnis der Langlebigkeit der NATO liegt in ihrer Anpassungsfähigkeit. Sie hat verhindert, dass der Sowjetkommunismus Europa überrannte. Sie bewältigt militärische Krisen außerhalb des Bündnisgebietes. Sie schafft Stabilität durch ein Netz von Partnerschaften, das den Globus umspannt. Und die NATO erleichtert internationale Zusammenarbeit wie gegenwärtig im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Das transatlantische Bündnis hat sich stets an aktuelle Herausforderungen angepasst und so die Sicherheit seiner Mitglieder gewährleistet. Damit das so bleibt, müssen die Mitgliedsstaaten heute darüber nachdenken, wie sie die NATO auf die Zukunft vorbereiten wollen. Dazu einige Vorschläge.
Erstens: Die NATO muss sich nicht neu erfinden.
Die NATO war und ist erfolgreich, weil sie auf festen Werten beruht: Demokratie, Freiheit des Einzelnen, Rechtsstaatlichkeit. Ihr Kern ist das Versprechen, dass ein Angriff gegen einen ein Angriff gegen alle ist und dass wir alle bereit sind, einander beizustehen. Dieses Versprechen gewährleistet nicht nur kollektive Verteidigung und Abschreckung, sondern es entlastet auch und setzt Kräfte frei. Weil die Mitgliedstaaten der NATO wissen, dass ihre gemeinsamen Anstrengungen ihre Sicherheit garantieren, müssen sie sich nicht mehr all ihr Streben auf das bloße nationale Überleben richten und tragen so zu internationaler Stabilität bei.
Das deutsche Wirtschaftswunder wurde durch die Sicherheitsgarantie der NATO ermöglicht. Ähnliches gilt für die Staaten Mittel- und Osteuropas, die den Eisernen Vorhang niederrissen und nach dem Kalten Krieg der NATO beitraten. Seither ging die Zugehörigkeit zur Allianz der EU-Mitgliedschaft voraus: Sicherheit bereitet den Weg für politische und ökonomische Entwicklung.
Daran sollten wir uns angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie erinnern. Die NATO ermöglicht das einige und freie Europa, das von unschätzbarem geostrategischen und ökonomischen Wert ist.
Zweitens: Die NATO muss ihre militärischen Fähigkeiten weiter verbessern.
Weitreichende Krisen wie die gegenwärtige Pandemie sind über ihre unmittelbare Wirkung hinaus gefährlich. Angreifer könnten die Gelegenheit nutzen, um von ihrem eigenen Missmanagement abzulenken oder abgelenkte und geschwächte Gesellschaften zu überrumpeln oder zu erpressen. Dagegen ist die NATO ein unverzichtbarer Schutz. Indem sie all ihre Verpflichtungen in der Bündnisverteidigung und internationalen Missionen aufrechterhält, verhindern wir, dass aus einer Gesundheitskrise eine Sicherheitskrise wird.
Dazu benötigt die NATO angemessene Fähigkeiten. Und deswegen müssen die im Bündnis vereinbarten Planungsziele eingehalten werden.
Deutschland bleibt entschlossen, gut zehn Prozent der militärischen Fähigkeiten der NATO zu stellen – heute, morgen und in einem Jahrzehnt. Es dient deutschen Interessen, unseren Beitrag zum gesamten Fähigkeitsspektrum der Allianz zu leisten und zugleich den europäischen Pfeiler in der NATO zu stärken. Unsere konkreten Fähigkeitszusagen werden dabei gegenüber abstrakten Prozentzahlen, die von ökonomischen Schwankungen abhängen, noch an Bedeutung gewinnen.
Drittens: Die NATO muss nicht-traditionelle Bedrohungen unserer Sicherheit wirksam bekämpfen.
Die gegenwärtige Pandemie ist eine von vielen unterschiedlichen Bedrohungen unserer Sicherheit. Sie reichen von Terrorismus über Cyber-Bedrohungen, einschließlich politischer Desinformationskampagnen, bis hin zu den Folgen des Klimawandels.
Keine dieser Bedrohungen kann allein durch Raketen und Panzer abgeschreckt werden. Vielmehr liegt die beste Verteidigung in unserer Fähigkeit, solche Schläge zu absorbieren, ihre Folgen zu überwinden und ihre Ursachen tatkräftig angehen zu können. Das bedeutet, wir müssen unsere Resilienz stärken – etwa indem wir unsere kritischen Infrastrukturen härten und anpassen. Dazu gehören Strom- und Verkehrsnetze, Informationsnetzwerke wie das Internet, aber zum Beispiel auch unsere Gesundheitssysteme.
Zwar ist das in erster Linie eine Aufgabe für die nationalen Regierungen, aber der NATO kommt eine wichtige unterstützende Rolle zu. Zum einen, indem das Bündnis hinsichtlich seiner eigenen Strukturen, Streitkräfte und Operationen resilienter wird. Und zum anderen, indem es seine militärische und organisatorische Expertise in die nationalen Maßnahmen einbringt.
Die NATO arbeitet bereits seit langem daran – vom Cyber Center of Excellence in Estland bis zum Euro-Atlantic Disaster Response Coordination Center, das Nothilfe nach Katastrophen unterstützt, dieser Tage mit Blick auf Corona. Die NATO sollte diese vielen Elemente unter dem Banner der Resilienz zusammenbringen und so wertvolle Synergien schaffen.
Deswegen sollte die NATO “Resilienz” als eine ihrer zentralen Aufgaben verstehen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, müsste die NATO noch regelmäßiger und systematischer den Austausch mit zivilen Organisationen suchen – von der Polizei über den Katastrophenschutz bis hin zur Wissenschaft der Medizin, Klimaforschung und Cybertechnologie. Das würde auch eine intensivere Zusammenarbeit zwischen NATO und EU befördern.
Vor kurzem hat die NATO eine “Reflektionsgruppe” eingerichtet, geführt von einem Amerikaner und einem Deutschen, dem ehemaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Ich bin überzeugt, dass diese Gruppe die strategische Entwicklung der NATO voranbringen wird – auch durch neue Ideen, wie wir die NATO resilienter machen und dadurch mehr Sicherheit für alle Verbündeten schaffen.
Deutschland trägt seinen fairen Teil dazu bei, politisch, militärisch und finanziell. Schließlich profitiert unser Land diesen Monat nun schon seit 65 Jahren von seiner Mitgliedschaft im Bündnis. Das ist ein Grund zum Feiern, denn der Beitritt zur NATO bedeutete die Aufnahme in die westliche Wertegemeinschaft, nur zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Das schuf die Voraussetzung für die deutsche Wiedervereinigung und ein geeintes Europa.
Heute gewährleistet die NATO weiterhin die Unversehrtheit unseres Bündnisgebietes, schafft Stabilität durch ihre internationalen Kriseneinsätze und bietet rasche und unmittelbare Hilfe in Katastrophenfällen wie der Corona-Pandemie.
Es ist an uns, den inzwischen dreißig souveränen Mitgliedstaaten, diese stolze Tradition der Freiheit und Sicherheit fortzusetzen und den nächsten Schritt zu tun: Für ein noch widerstandsfähigeres, resilienteres Bündnis!