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Spahn: Aufgeschlossenheit und Bereitschaft zur Organspende
In dieser Woche diskutieren Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Hermann Gröhe über den richtigen Umgang mit dem Thema "Orqanspende", pro & contra Widerspruchslösung. Lesen Sie im Folgenden den Beitrag von Jens Spahn (doppelte Widerspruchslösung), hier ist der Artikel von Hermann Gröhe (Entscheidungslösung) verlinkt.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn MdB:
Das Thema Organspende treibt mich seit vielen Jahren um – als Gesundheitspolitiker und als Mensch. Die Bereitschaft zur Organspende gehört zu den Lebensfragen, vor deren Beantwortung wir uns im Zweifel gerne drücken. Dabei ist die Lage so, dass wir die Auseinandersetzung mit dieser Frage individuell und gesellschaftlich dringend brauchen. 10.000 Menschen warten in Deutschland auf ein lebensrettendes Organ. Jeden Tag sterben Menschen, die vergeblich gewartet haben.
Aufklärung, Bewusstseinsbildung und das Vertrauen in die Entscheidungsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger – dieser Weg liegt mir als Christdemokraten auch in der Frage der Organspende nahe: orientiert am christlichen Menschenbild eines freien und zur Verantwortung fähigen Menschen. Deshalb hatten wir vor Jahren festgelegt, dass die Krankenkassen alle Versicherten in der Frage regelmäßig anschreiben müssen. Aber ich selbst sehe ja im Bekanntenkreis, was mit den Briefen passiert – gelesen werden sie wohl eher selten. Wir haben Werbekampagnen aufgelegt und Diskussionen geführt – aber geholfen hat das alles wenig. Für mich gab es dann einen Schlüsselmoment: als wir sahen, dass 2017 die Organspenden einen dramatischen zwanzigjährigen Tiefststand erreicht hatten.
Die Frage ist, wie wir die Aufgeschlossenheit und Bereitschaft zur Organspende in unserer Gesellschaft in tatsächliche Spenden verwandeln. Denn diese Bereitschaft zur Organspende ist grundsätzlich vorhanden. Nach Umfragen sehen über 80 Prozent der Befragten die Organspende positiv. Das Potential ist also da, die Situation substantiell zu verbessern.
Ich sehe in dieser Debatte eine große Chance, auch für unser Selbstbild als demokratische Nation. Wir haben Beispiele solcher Debatten, die unserer politischen Kultur im Parlament wie im Land gut getan haben – wie etwa 2011 die Debatte über die Präimplantationsdiagnostik oder 2015 die zur Sterbehilfe. In einer guten Debatte liegt die Chance, dass sich über alle Meinungsunterschiede hinweg durch die Qualität des argumentativen Austauschs und die Ernsthaftigkeit der Teilnehmer Respekt und Achtung voreinander wie von selbst einstellen.
Wie wir die Organspende gesetzlich regeln, das berührt heikelste Punkte – von Leben und Sterben, vom Selbstbestimmungsrecht und der Verfügung über den eigenen Körper, aber auch von Leben und Gesundheit Anderer. Gerade deswegen ist es wichtig auch für die Akzeptanz der schließlichen parlamentarischen Entscheidung, dass jeder Standpunkt in der Debatte zur Geltung kommt. Ich werbe dabei dafür, immer auch daran zu denken, dass jeder nicht nur möglicher Spender eines Organs ist, sondern auch möglicher Empfänger, voller Hoffnung auf Leben.
Das ist die Diskussion, die wir im Bundestag führen. In dieser Frage zu entscheiden, ist eine Gewissensfrage. Da kann es keinen Fraktionszwang geben, und erst recht keine Gesetzesvorlage der Bundesregierung. Stattdessen gibt es Gruppenanträge von Abgeordneten verschiedener Fraktionen.
Einer dieser Gruppenanträge schlägt die Stärkung der Entscheidungsbereitschaft vor, nach der Bürgerinnen und Bürger bei der Ausweisabholung die Möglichkeit bekommen sollen, eine Entscheidung über die persönliche Bereitschaft zur Organspende zu treffen. Ich habe allerdings Zweifel, ob Meldeangelegenheiten ein geeignetes Umfeld sind, um eine solche Frage mit sich auszumachen.
Ich selbst halte nach langem Nachdenken eine doppelte Widerspruchslösung für richtig und habe mit anderen Abgeordneten parteiübergreifend einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Das heißt, dass jeder selbst „nein“ sagen kann – und wenn er das nicht zu Lebzeiten macht, dann noch immer die Angehörigen befragt werden. Ich finde, das „nein“ aussprechen zu müssen, also sich zu entscheiden, ist angesichts der bedrückenden Lage auch in einer freien Gesellschaft zumutbar. Das einzige Recht, das so beschnitten würde, wäre das Recht, sich keine Gedanken zu machen, sich nicht mit dieser für viele Mitmenschen entscheidenden Frage auseinanderzusetzen. Es wäre auch keine „Organabgabepflicht“. Eine Pflicht, zu der man konsequenzlos „nein“ sagen kann, ist keine Pflicht. Der Gesetzgeber würde keine Pflicht zur Organspende einführen, sondern nur die Zustimmung als gegeben annehmen, wenn nicht widersprochen wurde. Es ginge um die Zumutung eines aktiven Freiheitsgebrauchs. Um Selbstbestimmung in Solidarität.
Ich bin überzeugt: Das Recht auf Leben und Gesundheit und die Angewiesenheit auf Hilfe wiegt mehr als das Recht, einer Entscheidung in dieser Frage aus dem Weg zu gehen.
Wie auch immer wir im Herbst in der Frage entscheiden werden: Die bisherigen Schritte und die beginnende gesellschaftliche Debatte haben offenbar schon dazu beigetragen, dass im vergangenen Jahr wieder mehr Menschen Organe gespendet haben – und sich mehr Hoffnungen auf Leben erfüllen konnten.
Wir sollten die Diskussion als CDU unbedingt weiter führen. In Berlin und in jedem Ortsverband.