
- Bei Facebook teilen
- Bei Twitter teilen
- Bei Whatsapp teilen
- teilen

„It’s the future, stupid!“
Mit Wertekompass Zukunft gestalten
von Annegret Kramp-Karrenbauer
Die Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm ist weder Selbstbeschäftigung noch Selbstzweck. Nein, es geht darum, welchen Beitrag Christdemokratinnen und Christdemokraten für eine gute Zukunft unseres Landes leisten können. Zukunft – das ist die christdemokratische Perspektive politischen Handelns. Weder der Drang nach Vergangenheitsbewältigung noch eine Haltung des ‚Nach mir die Sintflut‘ sind der CDU eigen. Wir wollen Zukunft gestalten, die Weichen richtig stellen und heute die Voraussetzungen für die Erfolge von morgen schaffen.
Dafür braucht es zweierlei. Erstens müssen wir verstehen, mit welchen Veränderungen wir es heute und morgen zu tun haben. Wir müssen Entwicklungen erkennen, die unser Leben prägen werden, wir müssen schon heute eine Ahnung davon haben, welche Herausforderungen und vor allem welche Chancen das Morgen bietet. Der digitale Fortschritt, das Tempo technologischer Innovationen, die demografische Entwicklung, die Veränderung der Weltordnung – all das bildet den Rahmen. Natürlich ist Zukunft nicht vorhersehbar. Aber es ist möglich, eine Ahnung davon zu entwickeln, was für Fragen, Herausforderungen und Chancen auf uns zukommen.
Aber weil Aussagen über die Zukunft immer unvollständig bleiben, braucht es Orientierung, um den Weg auch in unübersichtlichem Gelände zu finden; das ist der zweite Aspekt von verantwortlicher Zukunftsgestaltung. Bei der Orientierung hilft uns Christdemokraten ein Kompass, der gebaut ist aus unseren Grundüberzeugungen, unseren Grundwerten, unseren Erfahrungen. Dieser Kompass leistet verlässlich seinen Dienst. Er funktionierte vor 70 Jahren beim Wiederaufbau unseres Landes, er funktionierte beim Bau des Friedensprojektes Europa und er funktionierte bei der Wiedererlangung der Deutschen Einheit. Ich bin mir sicher: Dieser Kompass funktioniert auch heute, und er funktioniert auch noch in 20 und in 50 Jahren.
Unser Bekenntnis zum christlichen Menschenbild ist zeitlos, weil dieses Menschenbild dem Menschen in seiner unveräußerlichen Würde am meisten gerecht wird: Freiheit und Selbstverantwortung jedes Einzelnen auf der einen Seite, Verantwortung füreinander auf der anderen Seite. Auch unser Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft macht unseren Kompass aus. Das Wohlstands- und Sicherheitsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft lebt von Grundprinzipien, die wir auf neue technologische Entwicklungen und ökonomische Verschiebungen übertragen müssen. Schließlich funktioniert unser Kompass nur, wenn er gut kalibriert ist. Und das heißt, dass wir unsere Stärke gut austarieren müssen, die sich aus drei Wurzeln speist: aus der christlich-sozialen, aus der liberalen und aus der konservativen Wurzel. Die Wurzeln dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen; sie müssen gemeinsam dafür sorgen, dass sie nicht vertrocknen, sondern dass sie die Kraftadern einer wertegebundenen Zukunftsgestaltung sind. Das meint ‚Union‘: das Verbindende über das Trennende stellen, auf das Miteinander und nicht auf das Gegeneinander setzen – im Übrigen auch nicht auf das Nebeneinander. Und ‚Union‘ meint auch, dass wir die politische Kraft sind, die nicht auf einfache Antworten setzt, die sich nicht als Schwarz-Weiß-Maler versteht, die Unterschiedliches zusammendenkt und Komplexität nicht durch Simplifizierung einebnet. Mit diesem Kompass in der Hand hat die CDU keinen Grund, ängstlich in eine ungewisse Zukunft zu schauen: Wir haben Orientierung, wir stehen auf festem Boden, wir fliegen nicht durch einen luftleeren Raum.
Ein funktionierender Kompass und eine Ahnung von den Veränderungen der Zukunft – das muss uns bei der Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms leiten. Beides – Zukunftsentwicklungen und Grundwerte – müssen wir im Grundsatzprogramm ins Verhältnis zueinander setzen.
Wie gehen wir diesen Prozess an? Mir geht es um drei Dimensionen. Erstens ist dieser Prozess ein gemeinsamer Prozess der CDU. Ich möchte, dass alle Mitglieder der Partei mitmachen. Das betrifft die erste Phase, die unter dem Stichwort ‚Zuhören‘ steht und bis Ende dieses Jahres dauert. Im Rahmen meiner Zuhör-Tour komme ich derzeit mit ganz vielen Mitgliedern ins Gespräch – eine für beide Seiten sehr spannende Erfahrung. Um das Gemeinsame geht es auch in der zweiten Phase, über der das Motto ‚Diskutieren‘ steht und sich über das Jahr 2019 erstreckt. In Diskussionen wollen wir gemeinsam mit den Mitgliedern erste Antworten auf die großen Leitfragen erarbeiten, die sich aus der ‚Zuhör-Phase‘ ergeben haben. Schließlich geht es in der dritten Phase ums ‚Entscheiden‘. Das Jahr 2020 wird der Ort sein, an dem wir mit unseren Mitgliedern einen Entwurf des Grundsatzprogramms diskutieren und beraten. Das alles zeigt: Der Weg zum neuen Grundsatzprogramm ist ein gemeinsamer Weg; es ist nicht der Weg irgendeiner Kommission. Die Richtung ist eine andere: von unten nach oben.
Zweitens soll der Prozess ein offener sein. Wir müssen als CDU ins Gespräch mit vielen Menschen außerhalb unserer Partei kommen. Das können Experten oder Praktiker sein. Das können auch Mitglieder anderer Parteien sein. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Positionen dabei hilft, die eigenen Positionen zu finden und zu schärfen.
Drittens soll dieser Prozess kontrovers sein. Ich halte es für völlig realitätsfern, den Eindruck erwecken zu wollen, dass wir in unserer Partei nicht auch unterschiedliche Positionen hätten. Diese Kontroversen müssen und wollen wir sichtbar machen. Die CDU kann davon nur profitieren, denn so hat sie die Chance, als interessante Partei wahrgenommen zu werden. Und dennoch ist bei aller Kontroverse klar: Am Ende entscheidet eine Mehrheit, hinter der sich die Partei dann versammeln muss.
Ich möchte das Grundsatzprogramm in einem gemeinsamen, offenen und kontroversen Prozess erarbeiten. Das Ziel des Prozesses ist klar: Auf festen Werten eine gute Zukunft bauen. Darum geht’s und das wird über den Erfolg der CDU als starke Volkspartei der Mitte entscheiden: It’s the future, stupid!
Der Artikel erschien zunächst bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.