Viele Pflegebedürftige wollen möglichst lange in den eigenen Wänden leben. Doch ein Pflegetag ist eng getaktet: Früh die ersten Tabletten geben. Danach Toilette, Waschen, Essen, ggf. Behandlung oder Pflege. Mittags wieder Tabletten, Essen. Abends erneut. Für viele Angehörige ist das aufgrund des Berufs, der Familiensituation oder der geografischen Entfernung zur Familie nicht alleine zu leisten. Sie greifen auf Hilfen zurück. Geschätzt zwischen 300.000 und 400.000 Familien nutzen die Unterstützung von Betreuungskräften. Viele von ihnen fühlen sich aber alleine gelassen, wenn es um die rechtssichere Grundlage für diese Betreuungsform geht.

Werkstattgespräch Pflege 04 Debatte vor Ort und zugeschaltet online: CDU-Generalsekretär Mario Czaja im Gespräch mit Juliane Bohl, Jessica Heller und Esther van Bebber. (Foto: CDU)

Wie kann häusliche Pflege auch künftig umfassende Betreuung anbieten?

„Was funktioniert im Bereich der sogenannten 24-Stunden-Betreuung von Angehörigen gut und was funktioniert noch nicht gut?“ CDU-Generalsekretär Mario Czaja leitet die Debatte zu diesem Thema an diesem Abend. Er fragt: „Wie kann häusliche Pflege so organisiert werden, dass sie nicht auf Kosten der Frauen in den Familien oder der Lebens- und Arbeitssituation von vorwiegend migrantischen Hilfs- und Pflegekräften geht? Welche gesetzlichen und gesellschaftlichen Hebel müssen in Bewegung gesetzt werden? An welchen Schnittstellen hakt es und welche Entscheidungen muss die Politik treffen?“

„Es ist uns als CDU ein Anliegen, nicht nur die stationäre Pflege zu stärken, sondern auch die Pflege zu Hause.“ Mario Czaja

Die CDU diskutiert darüber in einem „Werkstattgespräch“. Die Diskussion spiegelt wider, was der Name ankündigt: Hier wird an der Sache gearbeitet. Hier werden Lösungen gesucht. Und hier wird die Debatte online und vor Ort verzahnt. 30 Leute sind vor Ort im Konrad-Adenauer-Haus. Mehr als 200 weitere sind online dabei – und diskutieren eifrig: mit den Gästen im CDU.TV-Studio und parallel im Live-Chat.

Unterstützung für Familien

„Die Situation ist, wie sie ist. Wir haben den Anspruch, daraus das Beste zu machen“, sagt Esther van Bebber. Die Diözesan-Caritasdirektorin im Erzbistum Paderborn hatte schon vor ihrer Tätigkeit in der ambulanten (Familien-)Pflege mitgearbeitet und kann daher auch aus dieser Perspektive Erfahrungen einbringen. Sie sagt: „Es bewegt sich nichts, obwohl die Probleme in der so genannten 24-Stunden-Pflege nicht nur in der Fachöffentlichkeit seit Jahren bekannt sind.“

„Es muss mehr im Großen und Ganzen gedacht werden. Dann kann man auch über Synergien reden.“ Esther van Bebber

„Es sind die Familien, die 24 Stunden am Tag pflegen“, sagt Juliane Bohl. Sie wurde seinerzeit als Sachverständige in die (mittlerweile beendete) „Konzertierte Aktion Pflege“ berufen. Ihr Ziel sind festgeschriebene Standards für die 24-Stunden-Pflege. Es ist ihr eine Herzensangelegenheit, die Betreuung zu Hause mit ambulanter Fachpflege zu verbinden und auf rechtlich saubere und qualitativ hochwertige Füße zu stellen.

Schutzräume festlegen

Familien organisieren die gesamte Pflege, macht sie deutlich. Dabei sind sie allerdings oft alleingelassen. Es gibt Gesetze – und es gibt einen Graubereich. Eine 24-Stunden-Pflege durch eine einzelne Person sei de facto nicht möglich, stellt Bohl klar. Sie wird auch im Arbeitsgesetz nicht unterstützt. Seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts 2021 ist das Bewusstsein für Bereitschaftszeiten als Arbeitszeiten stärker geworden, so Bohl. „Pflege muss so organisiert sein, dass nicht eine Person 24/7 zuständig ist. Dann ist es auch egal, ob sie angestellt oder selbständig tätig ist.“

„Wenn man einer Familie anbietet, für 1.500 Euro ‚Pflege all inclusive‘, dann kann etwas nicht stimmen.“ Juliane Bohl

Schutz brauchen nicht nur die zu Pflegenden und deren Familien. Schutz brauchen auch die Betreuungskräfte. Hier entstehen nicht selten Konflikte. Van Bebber wünscht sich gemeinsame Anlaufstellen: „Eine Betreuungskraft soll nicht allein und hinter verschlossenen Türen Überforderung erdulden. Deshalb muss mindestens einmal in der Woche ein Pflegedienst eingebunden werden.“

Au-Pair für Alte - die Pflege zum Dumping-Preis

Die meisten Betreuerinnen kommen derzeit aus unseren östlichen Nachbarstaaten. Bohl weist auf eins der größten Probleme damit hin: „Wenn Frauen aus Osteuropa für 800 Euro im Monat arbeiten, dann ist das nicht o.k. Da brauchen wir nicht drüber zu reden.“ Sie sieht, dass hier aus einer Drucksituation heraus Toleranz entsteht: „Die ambulante Pflege ist am Limit.“ Die Pflegerinnen und Pfleger sind froh, wenn sie Unterstützung bekommen. Doch wer kontrolliert die Qualität der Pflege und das Einhalten der Regeln?

Esther van Bebber vertritt als Diözesan-Caritasdirektorin im Erzbistum Paderborn ein ‚Arbeitgeber-Modell‘: Die Familien stellen die Pflegepersonen an. „Die Regeln sind damit klar für alle“, sagt sie. Dazu zählen Bezahlung und Absicherung. Dazu zählt auch eine feste Arbeitszeit-Regelung: „Vollzeit mit einer 38,5-Stunden-Woche, mit einer klaren Bereitschaftszeit. So ist klar, wann Freizeit ist, wann Arbeit geleistet wird.“

Einen klaren Rahmen festlegen

Mehr rechtliche Rahmenbedingungen, das unterstützt auch Jessica Heller. Die Krankenschwester ist gleichzeitig Stadträtin in Leipzig und aktiv in der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege der CDU-Fachkommission Soziale Sicherung. Die Herausforderungen, vor denen pflegende Angehörige tagtäglich stehen, hat sie am eigenen Leib erfahren und sie prägen ihren Blick auf unser Gesundheitswesen nachhaltig. Sie sagt: „Unsere Gesellschaft muss in der Angehörigenpflege dringend neue Wege gehen, um den Pflegebedürftigen und ihren Familien ein Altern in Würde zu ermöglichen.“

„Wir brauchen Klarheit und Einheitlichkeit, bundesweit. Und wir brauchen einen Plan: Wie sieht Pflege in 10 oder 20 Jahren aus?“ Jessica Heller

Heller sieht nur so die Chance, auch junge Menschen wieder für die Pflege zu begeistern. „Wir müssen klare rechtliche Rahmenbedingungen haben“, sagt sie. „Und wir müssen Aufgaben und Kompetenzen klar definieren.“ Es gibt viele Angebote, die entlasten können, weiß sie. Es gilt aber: „Wir müssen die Beratung auf andere Füße stellen.“ Dazu zählt die Beratung selbst, aber auch die Organisation der Beratungsangebote.

Heller bringt die Anforderungen auf den Punkt: Es braucht gleiche Grundlagen von Bundesland zu Bundesland. Das heißt: Bezeichnungen vereinheitlichen. Ansprechpartner bündeln. Übersichtlichkeit verbessern.

Was muss getan werden?

Die Pflege zu Hause ist ein Zeichen von Liebe und Zuneigung. Sie entspricht dem Wunsch der meisten Pflegbedürftigen. Doch sie verlangt in sehr vielen Fällen sehr großen Einsatz der Pflegenden, Verzicht vor allem. Und: Ohne die Angehörigen geht es auch nicht. Denn insgesamt benötigen rund 5 Millionen Menschen in Deutschland Hilfe – von täglicher Medikamentengabe bis zur 24-Stunden-Betreuung. Die CDU will hierfür einen passenden Rahmen schaffen.

„Wir als CDU werden uns weiter intensiv mit den Menschen beschäftigen.“ Mario Czaja.

Doch auch das zählt zur Wahrheit, so van Bebber: „Wenn die Pflege zu Hause nicht mehr möglich ist, muss man auch ehrlich sagen: Das Projekt trägt nicht mehr.“ Und dann muss die Person in eine stationäre Pflege wechseln.

Das will die CDU:

Die Union will bis 2025 mit der Bundesregierung ein Hausbetreuungsgesetz auf den Weg bringen. Es soll folgende Punkte umfassen:

  1. Die arbeitsrechtliche Problematik von Betreuungskräften muss geklärt werden. Das betrifft u.a. die Bezahlung von Bereitschaftszeiten.
  2. Besseres Ineinandergreifen: Strukturelle und institutionelle Barrieren zwischen Hausbetreuungskräften und ambulanten Betreuungsdiensten wollen wir beseitigen.
  3. Wir wollen Hilfestellungen, insbesondere bei der Haushaltsführung und der Bewältigung des Alltags. Darüber diskutiert der Bundestag seit Jahren.
  4. Es muss feste Anlaufstellen für Betreuungskräfte aus Osteuropa geben. Diese sollen Anlaufstellen bei Überforderung oder Mobbing im Rahmen der Betreuungstätigkeit sein.